Hier findet ihr eine Erklärung, die am 2, Hafttag geschrieben wurde, und leider nicht geschickt werden könnte, durch die komplete Ausschaltung, die mensch im Knasttransport erfährt (ein weiterer Text dazu kommt demnächst). Wir haben uns doch entschieden, es zu veröffentlichen, auch weil andere Gefangene gegrüßt werden und sie diese Zeile vieilleicht noch erreichen können.
Das Bild zu diesem Artikel ist das Notensystem, was in der Erklärung erwähnt ist. Es soll weder als objektiv gelten noch zu ernst genommen werden!
12/11/19, Brandenburg-an-der-Havel
Hi ihr lieben,
Erstmal danke und probs, dass ihr diesen Brief liest ! Sich Zeit zu nehmen um den Wörter der Gefangenen acht zu geben ist echt wichtig und cool. Es tut mir gut, mir vorzustellen, dass ihr auf der anderen Seite der Gittern diesen Brief in euren normalen Leben lesen werdet.
Na ja, jetzt bin ich wieder im Knast, und wieder auf dem Transport – zynischeweise auf genau den selben Weg, wie fast genau 3 Jahre her, nur in die andere Richtung (Berlin nach Bielefeld statt Bielefeld nach Berlin). Ich nutze diese Gelegenheit, um meine Eindrücke von der JVA Luckau-Duben (Brandenburg), Brandenburg-an-der-Havel (Brandenburg), Halle (Sachsen), Hannover (Niedersachsen), Hildesheim (Niedersachsen) und Bielefeld-Brackwede (Nordrhein-Westfalen) zu bestätigen und meine drei Jahre alte Pläne eines Notensystem für Knäste auf die Beine zu stellen : ich veröffentliche es sobald es fertig ist, es könnte euch nützlich sein oder überhaupt amüsieren.
Eigentlich geht es mir den Umständen entsprechend eher gut, auch weil es halt nicht mehr das erste Mal ist, und weil ich mich seitdem intensiv und offensiv mit Knast auseinandergesetzt habe. Es hilft wirklich sehr, ich kann es euch nur weiterempfehlen ! Gut auch, dass ich dieses Mal nicht auf der Straße beinah im Schlafanzug festgenommen wurde, sondern aus dem Flieger kurz vor dem Abflug von den Bullen abgeholt wurde, also mit meinem gesammten Koffer.
Ein Paar Gedanken dazu. Ein paar Tage her, hatte ich ein Artikel in der In der Tat (anarchistische Zeitschrift) gelesen, es hies so was wie „Im Freiluftgefägnis“ [In der Tat nummer 5, Herbst 2019, „Im Freiluftgefängnis“]. Es sagte ungefähr, es gäbe doch keinen konkreten Unterschied zwischen beiden Seiten der Gittern, da mensch draussen auch nicht frei ist und in der Bewegungen eingeschränkt wird (zb. durch Grenzen) und überwacht wird (durch Technologie). Freund*Innen und ich haben drüber gequatscht, und ich brachte die Kritik, dass Knast doch nicht nur um „Freiheit“ geht, sondern eher um Auslieferung. Im Knast bist du ständig unter der Hand des Staates, komplet ausgeliefert, fast wehrlos. Im Knast bist du erstmal in einer Zelle eingesperrt und es können irgendwelche Leute reinkommen und mit dir das zu tun, was sie wollen. Draussen hast du fast immer mindestens die Möglichkeit, wegzurennen, ob du es versuchst oder nicht, ob du es schaffst oder nicht.
Gestern im Flieger hatte ich aber diese Möglichkeit doch nicht. Im Schönefelder Flughafen auch nicht : überall Schleuse, geschlossene Türen, Kontrolle. Ich war auch da tatsächlich vollkommen den Behörden ausgeliefert, wie in einer Gefängniszelle. Und das schlimmste, was mich gerade richtig ankotzt, viel mehr als die Festnahme in sich, ist, dass ich mich vollkommend freiwillig und nichts ahnend geliefert habe, ich habe mich sogar gefreut. Ich hatte diese Auslieferung nicht mal kommen gesehen. Ausserhalb der Egoverletztung, dass ich gehofft hätte, ich wäre nicht so naiv und auch nicht so schnell bereit, mich von kleinen Freuden (in diesem Fall, in Urlaub fliegen) verblindet zu lassen, tobt sich in mir eine Frage aus : wie oft liefere ich mich eigentlich selbst aus, im Alltag ? Wie oft laufe ich durch Schleuse und Eisentüren, ohne es bloß zu bemerken ? Mit dieser Frage bin ich noch nicht so weit, ich weiß nur, dass ich wahrscheinlich nie wieder in Flughafen reintrette – nicht zuerst wegen Trauma, sondern eher wegen des Eckels was ich jetzt fühle, wenn ich an diese konstenpflichtige Ausweglosigkeit denke.
Schreibt mir gerne eure Gedanken dazu ! Ich schreibe noch mal die Tage – vielleicht über Umgang mit Schliessern und Stockholmsyndrom : da bräuchte ich auf jeden fall ein paar Tipps und Analysen dazu ! In diesem Sinne, passt gut auf euch auf und auf eure, unsere Gefangene : liebste Grüße auch an die 3 von der Parkbank, an Lisa, an Loic, und an die hunderte Gefangene der Gilets Jaunes Proteste : kein Knast steht ewig, und bald tanzen wir gemeinsam auf dem Grab des Bestehendes ! Haltet ihr auch die Ohren steif <3
Und als Trailer für die zweite kommende Erklärung (über Transport), die besten Schliesserzitate der Woche !
Halle :
Thunfisch : Ich sehe, dass mein Recht, meine Verteidigerin zu erreichen, gerade verlezt wird.
Schliesserin : Doch gar nicht, sie dürfen ihr jederzeit schreiben.
Thunfisch : Ok, dann bräuchte ich Briefmarken.
Schliesserin : Geht nicht.
Thunfisch : Ja also ich kann ihr doch gar nicht schreiben !!!
Schliesserin : Nein, aber sie dürfen es.
Luckau-Dubben, über den „obligatorischen“ Urinentest :
Thunfisch : Diese Massnahme finde ich unwürdig.
Schliesserin : Muss doch jede machen.
Thunfisch : Ja, dann ist es halt unwürdig für alle.
Schliesserin : ….
Thunfisch : Finden sie nicht ?
Schliesserin : Nein, ich finde es dann normal.