*ausgrunde mancher Privilegien die ich habe und noch nicht richtig
bearbeitet habe, kann es sein, dass ich in diesem Text viele Situations
misachte oder Sachen etwa rücksichtlos, verletztend formuliere. Dafür
bitte ich euch ehrlich um Entschuldigung. Ihr konnt sowas gerne per
Brief oder Email melden, wenn ihr wollt.*
*Deutsch ist nicht meine Erstesprache : es kann also sein, dass es zu
ungewöhnlichen Ausdrücksformen und/oder komischem Satzbau kommt. Dafür
bitte ich überhaupt nicht um Entschuldigung, ich sage nur Bescheid.*
Ihr liebe,
Ich habe ganz lange überlegt und habe mich dafür entschieden, in dieser
„Erklärung“ kein Wort zur „Sache“ noch zum Prozess zu schenken. Die
Situation ist schon schwierig genug, ohne dass ich sie durch meine
eigene Aussagen noch schwieriger machen müsste. Meine Überzeugungen und
meine Solidarität zur Rigaer Str. 94 und zu den Kämpfen, die wir alle
gemeinsam führen, haben nichts damit zu tun – aber wieso fühle ich mich
überhaupt verpflichtet, mich zu rechtfertigen?
Ich möchte nur mal erzählen, wie es so ist, im Knast zu sitzen. Da bin
ich auf kein Fall die erste = für eine ausführlichere, präzisere,
langfristigere Analyse des Alltags in den JVA Pankow und Lichtenberg
empfehle ich euch die Texte von Gülaferit Ünsal
(soligruppeguelaferituensal.blogsport.de). Ich für meinen Teil würde nur
sagen, der Knast bricht jeden Tag meinen Herzen und empört mich immer
mehr. Nicht, dass es mir so schlecht gänge; vor allem weil so viele
wunderbare Menschen – Gefährt*Innen, Freund*Innen, Familie unter anderen
– mich unterstützen, mir helfen, schicken mir Zines, Zeitungen, Bücher
und jede Menge Post, in dem sie (..ihr!) mich ermutigen, trösten,
beraten, mich zum lachen bringen und manchmal auch zum weinen.
Es ist mir klar, warum ich hier sitze und was die Staatsbeamt*Innen von
mir wollen, was sie in mir straffen wollen – ich schreibe „von mir“ und
„in mir“, aber ich könnte auch „von uns“ und „in uns“ schreiben, denn
ich sitze hier stellvertretend für uns alle (dieses „uns“ hat zwar keine
feste Grenze, aber es hat schon was mit Freiräume und Kämpfe gegen
Herrschaften und Autoritäten zu tun). Wie viele von euch haben mir schon
geschrieben, dass ich nicht alleine bin – und es tut jedes mal so gut,
es zu lesen !
Das ist der erste Grund, wieso es mir OK geht. Der Zweite liegt an
meinen sozialen Privilegien, also dass ich lesen und schreiben kann und
dass ich vorher schon genug Freizeit hatte, um Hobbies zu haben, die ich
hier weitermachen kann.
Aber diese zwei Gründe sind selten.
Viele wissen es bereits: die strukturellen Diskriminierungen lassen sich
nicht von Mauern und Stacheldraht fernhalten. Im Gegenteil: die
Diskriminierungen, die die Menschen draussen erlebten, gehen hier zum
quadrat. Die „eikalten Täter*Innen“ sind extrem selten: meistens sitzen
Gefangene wegen Taten (kleine Delikte wie „schwere Taten“) die aus
Erpressung, Gewalt, Zwang, psychische Instabilität, Lebensbedarf,
Manipulation u.a. begangen wurden. Und diese Ursachen haben meistens –
Überraschung ! – etwas mit strukturellen Diskriminierungen zu tun, und
bauen häufig krasse Traumas. Aber ich will hier auf kein fall meine
Mitgefangene weiteranalysieren, sondern den Knast und einige seiner
Mechanismen.
Wer aufgrund der personnelen Geschichte oder der Erst(en)sprache(n)
deutsch nicht lesen und/oder schreiben kann, ist schlecht dran. Alle
Bitten, Anmeldungen und Beschwerden müssen nämlich durch schriftliche
Anträge laufen. Den Betroffenen bleibt es also nur, den Mitgefangenen zu
vertrauen …
Und wer kein deutsch kann, ist den Mitgefangenen und den Beamt*Innen
komplet ausgeliefert. Wenn sie kein Bock haben, dann werden die, die
kein deutsch können, von jeglicher Kommunikation ausgeschlossen. Im
Knast gibt es nämlich keine*n feste*n Dolmetscher*In. Es ist manchmal
praktisch unmöglich, die*n eigene*n Pflichtverteidiger*In zu
kontaktieren um sie*ihn zu beten, mit einer*m Dolmetscher*In vorbei zu
kommen.
Die Unterhaltungsmöglichkeiten sind auch deutlich weniger: alle
verfügbare TV Sender sind deutsch- oder französichsprachig, und das
fremdsprachige Bücherangebot ist sehr niedrig: in der ganzen JVA
Lichtenberg gibt es zB nur ein Buch auf rumänischen. Da denkt mensch
sich natürlich : es ist mir todeslangweilig, ich möchte gerne arbeiten.
Wieder Pech gehabt: die Gefangene, die einen deutschen Pass haben, haben
Vorfahrt vor den Anderen [das wurde mir bloß von Beamt*Innen gesagt, ich
konnte noch keine Quelle finden].
Dann bleibt nicht vieles übrig, ausser die ganze Zeit im Bett zu
bleiben – und dafür wird mensch noch kritiziert mit rassistischen
und/oder klassistischen Kommentaren.
Das ist ein Beispiel, das ich häufig beobachte, und eins unter vielen
anderen. Die Menschen mit Behinderungen, für ihren Teil, werden
unsichtbar gemacht. Nicht mal der Hof ist barrierefrei, und die Zellen
auch nicht. Ich habe noch nichts gesehen, was für Menschen mit
Behinderungen gedacht wurde: sei es Bücher in Brailleschrift oder
niedrigere Hausalarm oder Notrufdruck für kleinwüchsigen Menschen.
Sogar die Verteilungstruktur stinkt. Menschen werden unverschämt in
Schuppladen gestellt : „Männer“/“Frauen“, „Drogenabhängige“,
„Zigeunerinnen“,usw, und deine Etikette, bzw in welcher Zelle, in
welchem Flur und in welchem Knast du sitzst, bestimmt wie andere
Menschen glauben, sie sollen dich behandeln und einschätzen.
Noch dazu kommt, dass viele Gefangene so allein sind. Selbst die, die
ein großes Sozialumfeld hatten, verlieren es im Laufe der Jahren,
Monaten, Wochen. Die abschreckende, trennende Kraft des Knast wirkt
prima, und so verlieren die Gefangene Jobs, Wohnungen, Kinder, Projekte,
Haustiere; was manchmal nicht passieren würde, wenn sie nur noch 1
solidarisierten, unterstützenden Mensch draussen hätten.
Und genau diese Persone schliessen wir auch noch aus, wenn wie „Freiheit
für alle POLITISCHE Gefangene“ singen. Natürlich ist die Solidarität mit
den Gefährt*Innen etwas besonders, weil wir stellvertretend für alle
drinnen sitzen. Ich wünschte mir nur, dass ich nie wieder „ACH JA? Und
was machst du mit den Killern und den Pedophilien??“ höre wenn ich
„Freiheit für alle Gefangene“ singe. Als ob diese Menschen, die
„Killer*Innen“ und die „Pedophilien“ es „verdient“ hätten, dass der
Knast die von ihnen erlebten Diskriminierungen und Traumas vergrößt und
katalysiert. Egal, was für eine Tat begangen wurde und wie graumsam wir
sie finden : Grausamkeit ist keine Antwort zu Grausamkeit, und
Diskriminierungen sind keine Strafe noch keine Lösung, sondern die
stärkste Waffe des Staates, wenn nicht der Staat selber.
Unmenschlichkeit und Diskriminierungen sind was wir jeden Tag bekämpfen,
und was der Knast verkörpert – egal wie viele Menschen die*r Gefangene
gebrochen, mishandelt, ermordert hat.
Was ich persönlich am gruseligste finde, ist dass kein Mensch scheint,
„Schuld“ daran zu sein. Sogar manche Wärter*Innen geben sich Mühe,
Gerechtigkeit und Wohlfühlen für alle herrschen zu lassen – was nicht
funktionnieren kann. Die Situation wird erträglicher, aber die
Grundprobleme bleiben fest. Das macht eins deutlich : dass die
Diskriminierungen und Schaden im Haft so hoch sind liegt also nicht an
den Bedingungen, sondern an dem gesammten Knastsystem. Die reformativen,
moderierten „Lösungen“ fallen also aus: NEIN, sogar mit allem modernen
Komfort, Inhaftierung bleibt Entführung, Haft Einsperrung, d.h. eine
Verletztung der Grundrechten und -bedürfnisse des Wesens und einer
eckelhaften Versuch, die zu verstecken, die der Staat schon gebrochen
hat, und die zu brechen, die noch widerstandsfähig sind. Also scheiß auf
Kompromisse : Knäste gehören bis zur letzten Zelle abgerissen, und zwar
sofort.
In diesem Sinne: ganz viele liebe, dankbare Grüße an euch, die mich
liest; besondere Glückswünsche an Hodei, Siao, „Kim Neuland“, Tim H.,
L. und allen, „politisch“ oder nicht, deren Namen wir
vielleicht nicht kennen, die befreit und/oder freigesprochen wurden; und
solidarische Grüße an allen Gefangenen und an allen Gefährt*Innen.
Ich kann nicht warten, euch in Freiheit wieder zu sehen.
Love & Rage,
Thunfisch